Warum die postkoloniale Theorie einen erkenntnisblinden Aktivismus fördert

Columbia, Yale, New York. Antisemitische Demonstrationen haben sogar die Eliteuniversitäten in den USA erfasst. Die TAZ berichtet:

Demonstrierende der Cooper Union in New York, die „Free Palestine“ skandierten, schlugen gegen verschlossene Bibliothekstüren, hinter denen sich jüdische Studierende verschanzen mussten. Bei einem Protest an der New York University waren zwei Studierende mit Schildern zu sehen, auf denen „Keep the world clean“ (Haltet die Welt sauber) zu lesen war, daneben eine Zeichnung eines Davidsterns in einer Mülltonne.

An der Universität von Wisconsin, Milwaukee, riefen Students for Democratic Society zum Streik auf und betonten in Statements in den sozialen Medien, dass „Zionismus keinen Platz auf unserem Campus hat“ und verwendeten den Hashtag „#ZionismOffCampus“. Studierende der George Washington University projizierten „Glory To Our Martyrs“ and „Free Palestine From The River To The Sea“ an die Außenwände der Universitätsbibliothek.

Über 100 Studierende der University of North Carolina forderten die Universität auf, alle israelischen Unternehmen zu boykottieren sowie „Unternehmen, die Israel unterstützt haben“. Ein Redner an der University of Washington erklärte: „Wir wollen nicht, dass Israel existiert. Wir wollen nicht, dass diese zionistischen Gegendemonstranten existieren.“

Auch an der Universität von Minnesota wurde eine Rede gehalten, die explizit zur Zerstörung Israels aufrief. „Wir müssen die Zerstörung des imperialistischen zionistischen Regimes als Ziel haben, um eine erfolgreiche Intifada zu erreichen.“ Worauf die Menge skandierte: „Intifada bis zum Sieg! Es gibt nur eine Lösung: Intifada, Revolution.“

Woher kommen dieser Hass auf Israel und der Antisemitismus? Wer denkt, dafür sei der jüngste militärische Einzug der Israelis in Gaza verantwortlich, sieht viel zu kurz.

Ulrich Morgenstern und Susanne Schröter haben in der FAZ einen Gastbeitrag mit dem Titel „Die Konstruktion des Bösen“ veröffentlicht, in dem sie sich – endlich – kritisch mit der „postkolonialen Theorie“ auseinandersetzen, die seit vielen Jahren unhinterfragt an den Universitäten (mit politischer Unterstützung) implementiert wurde und nun enormen Schaden anrichtet. Theorien, die unter den Bedingungen der „Postmoderne“ entwickelt wurden, fördern nicht den gegenseitigen Respekt, sondern Machtspiele – und damit letztlich Gewalt. Dies sollte auch den Vertretern eines postmodernen Christentums zu denken geben.

Hier einige Auszüge aus dem Artikel „Die Konstruktion des Bösen“, den ich insgesamt sehr empfehle:

Denkmuster und Rhetorik der frühen postkolonialen Theorie weisen deutliche Parallelen zur marxistischen Tradition auf. Said hatte mit seiner Streitschrift just zu der Zeit Erfolg, als es linken Intellektuellen peinlich wurde, für ein ausgebeutetes Proletariat zu trommeln. Als neuer Hoffnungsträger bot sich die „Dritte Welt“ an. Unverändert blieb das dem antagonistischen Klassendenken entsprungene „oppressor/oppressed-mindset“. Diesem manichäischen Weltbild ist der Zwang zur Positionierung inhärent.

Die Forderungen nach Dekolonisierung von allem und jedem von der Kindererziehung bis zum Musikleben zeigen, wie sehr sich der Postkolonialismus von der kritischen Auseinandersetzung mit der Kolonialgeschichte entfernt hat. Man geht inzwischen von der irrigen Annahme aus, all diese Bereiche des privaten und des sozialen Lebens seien von falschem Bewusstsein, diesmal nicht bourgeoiser, sondern „weißer“, kolonialer Prägung determiniert.

Saids These, dass jeder Europäer, der etwas über den Orient schrieb, ein Rassist oder Imperialist sei, geht auch in anderer Richtung fehl. Tatsächlich versammelt Said in seiner eklektisch zusammengetragenen Sammlung von Orientalisten auch Wissenschaftler wie Ignaz Gold ziher (1850 bis 1921) und William Robertson Smith (1846 bis 1894), die dem Orient mit unvoreingenommenem Interesse begegneten. Einige der von ihm in ein zweifelhaftes Licht Gerückten, zu denen beispielsweise Louis Massignon (1883 bis 1962) gehört, engagierten sich für die Rechte der von ihnen Erforschten, andere wie der sprachbegabte Reisende Richard F. Burton (1821 bis 1890), der unerkannt das für Nichtmuslime verbotene Mekka erkundete, und der Arabist Hamilton A. R. Gibb (1895 bis 1971) fielen durch eine schwärmerische Begeisterung für den Orient auf. Wer Said systematisch liest, dem müssen solche Widersprüche auffallen, doch in der postkolonialen Theorie geht es weniger um ein gründliches Quellenstudium als um die Reduktion komplexer Realitäten auf das schlichte Muster von Unterdrücker und Unterdrückten. Dieses kennzeichnet die Ausformulierungen der postkolonialen Theorie seit den Achtzigerjahren durch Theoretiker wie Homi K. Bhabha, Gayatri C. Spivak, Étienne Balibar, Stuart Hall und Kimberlé Crenshaw.

Gefälligkeitsforschungen laufen fundamentalen Prinzipien der Wissenschaftlichkeit ebenso zuwider wie Forderungen, Wissenschaft in den Dienst einer politischen Allianz zu stellen. Während empirische Sozialwissenschaft fragen kann, wo, inwieweit und warum gesellschaftliche Übelstände zu verzeichnen sind und welche Faktoren zu ihrer Überwindung beitragen können, setzt aktivistische Wissenschaft diese Nachteile absolut und sich selbst als die rettende Kraft in Szene. Jede Wissenschaft, die Aktivismus einfordert, läuft Gefahr, ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Implizite oder explizite politische Positionierungen von Hochschulen, Instituten und Lehrveranstaltungen erzeugen zudem einen Konformitätsdruck auf Studenten und Stellenbewerber.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

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Carl Trueman: Den Glauben wiederfinden in einer radikal individualistischen Kultur

Andrew Klaven hat kürzlich mit Carl Trueman über die Herausforderungen gesprochen, die der radikale Individualismus für die Gesellschaft und die Kirche hervorbringt:

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Abtreibungsdebatte: „Sexualität und Kinderwunsch stimmen nicht überein“

Die Befürworter eines Abtreibungsrechts melden sich vermehrt zu Wort, nachdem eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission empfohlen hat, in den ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft Abbrüche zu legalisieren (den Hinweis auf beide nachfolgend besprochene Stellungnahmen verdanke ich einem Beitrag der TAGESPOST).

Der Jurist und Journalist Heribert Prantl empfiehlt in einem Beitrag für die SZ die vollständige Abschaffung des § 218. Er beruft sich auf ein Votum der beiden Höchstrichter Ernst Gottfried Mahrenholz und Berthold Sommer zum letzten Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993. Dort haben diese erklärt: „Zu den spezifischen Grundbestimmungen menschlichen Seins“ gehöre, dass „Sexualität und Kinderwunsch nicht übereinstimmen“. Prantl versteigt sich zu der Aussage: „Der 218 ist daher dem Buchstaben und dem Geiste nach immer noch ein Recht zur Ächtung der Frau … Paragraf 218 ist bis heute Ausdruck der Missachtung der Frau.“

In der WELT hat sich Professor Kai Möller gegen das Verbot der Abtreibung ausgesprochen. Er schreibt:

Klar erscheint mir jedoch, dass die in Deutschland geltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfehlt ist, da sie das Demokratieprinzip verletzt. Zur Erinnerung: das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Legalisierung der Abtreibung nicht mit der Pflicht des Staates, menschliches Leben zu schützen, vereinbar ist. Nochmals: es ist aus moralischer Sicht natürlich gut vertretbar, gegen Abtreibung zu sein. Aber als verfassungsrechtliche Vorgabe ist diese Haltung verfehlt, denn sie erklärt die politischen Überzeugungen aller derjenigen, die aus guten, rechtfertigbaren Gründen für die Legalisierung der Abtreibung eintreten, für illegitim. Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben in ihren Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch ihre eigenen moralischen Präferenzen dem ganzen Land aufgezwungen.

Möller bringt ein von der Philosophin Judith Jarvis Thomson entwickeltes Argument in die Debatte ein:

Für den Lebensschützer liegt das Hauptargument auf der Hand: Eine Abtreibung bedeutet die Zerstörung menschlichen Lebens. Niemanden, auch nicht Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, lässt dieser Punkt völlig kalt. Insofern kann ich nachvollziehen, wenn Menschen aus echter Überzeugung die Meinung vertreten, dass Abtreibung als Zerstörung menschlichen Lebens und insofern im Grundsatz als rechtswidrig anzusehen sein sollte, wie es dem geltenden Recht entspricht.

Für die Gegenposition gibt es auch gute Gründe. Das stärkste Argument wurde von der amerikanischen Philosophin Judith Jarvis Thomson entwickelt. Ihr Beispiel ist folgendes: Stellen Sie sich vor, dass während Ihres Schlafs ein berühmter Violinist, der eine schlimme Nierenkrankheit hat, an Sie angeschlossen wird, sodass er Ihre Nieren benutzt und so am Leben bleiben kann. Hätten Sie das Recht, die Verbindung zu kappen, wenn das den sicheren Tod des Musikers bedeuten würde?

Ganz klar lautet die Antwort: ja, das Recht hätten Sie, denn niemand darf Ihren Körper gegen Ihren Willen benutzen. Thomson argumentiert nun, dass es sich bei der Schwangerschaft ähnlich verhält. Selbst wenn man davon ausginge (was sie für zweifelhaft hält), dass der Fötus ein Recht auf Leben hat, bedeutet dies nicht, dass die Frau verpflichtet ist, ihm ihren Körper zur Verfügung zu stellen. Man könnte sagen: wenn sie dies tut, dann ist es ein Akt der Liebe, aber es liegt im Wesen der Liebe, das diese nicht erzwungen werden kann und darf.

Dieses Analogieargument wird von den Abtreibungsbefürwortern sehr gern herangezogen. Deshalb an dieser Stelle der Hinweis, dass sich Johannes Gonser in seinem Buch Abtreibung – ein Menschenrecht? (#ad) sehr gründlich damit befasst hat. Seiner Einschätzung nach ist nicht nur die Übertragbarkeit der Analogie problematisch. Er argumentiert auf Grundlage diverser ethischer Prinzipien für die These, dass dieses Argument selbst durch das Zugeständnis der Analogie fehlschlägt und zeigt auf, welche in moralischer Hinsicht weiteren problematischen Implikationen sich aus den darin propagierten Annahmen ergeben.

Lebensrechtler, die den Stellungnahmen von Prantl und Möller sachlich gut begründet widersprechen möchten, sind gut beraten, wenn sie die Abhandlung von Gonser gründlich studieren.

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Themelios 49 (1/2024)

Die theologische Fachzeitschrift Themelios ist in der Ausgabe 49 (1/2024) erschienen und kann als PDF-Datei oder im Logos-Format hier heruntergeladen werden.

Erschienen ist unter anderem eine Untersuchung der Sodomerzählung in 1. Mose 19. Die Gelehrten streiten seit Jahren über die genaue Art der Sünde, die Gottes Zorn dort hervorruft. Tatsächlich geht es um mehrere Übertretungen, darunter Unzucht, Vergewaltigung und Ungastlichkeit. Christliche Exegeten betonen traditionell die  homoerotischen Aspekte des Verlangens der Sodomiten. Etliche moderne Exegeten lehnen genau das ab und sind der Auffassung, dass die Homosexualität erst in jüngerer Zeit in den Text hineininterpretiert worden ist.

Melvin L. Otey, der Autor des Aufsatzes „The Ancient Pedigree of Homosexuality as the Sin of Sodom“, schreibt hingegen:

Die Gelehrten werden sich zweifellos weiterhin mit der genauen Natur der Sünde Sodoms auseinandersetzen, da das Ergebnis unter anderem Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Ansichten über homosexuellen Verkehr und Beziehungen haben könnte. Dieser Artikel hat nicht den Anspruch, eine Sünde abschließend zu isolieren. Stattdessen wird argumentiert, dass eines der jüngsten Argumente gegen die traditionelle Sichtweise – dass Gott die Städte des Tals zum großen Teil wegen der zügellosen Unzucht, einschließlich der Homosexualität, in Sodom zerstört – überzogen ist. Die Christen haben diese Lesart von 1. Mose 19 nicht erst in einer historisch jüngeren Zeit angenommen. Die Literatur des Zweiten Tempels zeigt, dass diese Sichtweise der christlichen Kirche vorausging, und die christlichen Schriften des ersten Jahrhunderts n. Chr., insbesondere der Judasbrief, zeigen, dass diese Lesart zumindest von einigen der frühen Jünger Jesu akzeptiert wurde.

Spannend ist auch J. Brittain Brewers Besprechung des Buches Paul’s Gospel for the Thessalonians and Others: Essays on 1 & 2 Thessalonians and Other Pauline Epistles (WUNT 481), Tübingen: Mohr Siebeck, 2022). Ein bemerkenswertes Buch mit – so Brewers – einer substantiellen Schwäche:

Die wesentliche Kritik richtet sich gegen Kims Neudefinition der Rechtfertigung. Im Anschluss an seinen früheren Band zur Rechtfertigung folgt Kim Käsemanns Verständnis der Rechtfertigung als Herrschaftswechsel, eine Verschiebung, die das traditionelle protestantische forensische Verständnis untergräbt (S. 53, 282). Dies macht die Rechtfertigung zu einem „gegenwärtigen Prozess“ (S. 283,  Fn. 8) und nicht zu einer deklarierten Realität. Obwohl Paulus’ Gebrauch der Wortgruppe δικ- komplex ist und bestimmte Vorstellungen von forensischer Gerechtigkeit Paulus’ sorgfältige Überlegungen vereinfachen können, ist die forensische Interpretation nicht ohne exegetische Berechtigung (z. B. Röm 5,1 u. a.). Obwohl Kim dies erwähnt (vgl. S. 93), vermeidet er einige der exegetischen Implikationen, indem er die paulinische Sprache vermischt, so dass Rechtfertigung, Versöhnung und Heiligung alle zu parallelen, sogar synonymen Begriffen für Gottes Werk in Jesus Christus werden (S. 93, 126-28). Es ist jedoch nicht klar, wie Kims Vorschlag, diese Wohltaten zu identifizieren, anstatt sie als unterschiedliche, wenn auch verwandte Wirklichkeiten zu betrachten, dem Text gerecht wird.

Immanuel Kant wurde vor 300 Jahren geboren

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Wie verhalten sich Glaube und Vernunft zueinander? Vor der so genannten Aufklärung wurden sie selten als Gegensätze gesehen. Seit Beginn dieser Bewegung im 17. Jahrhundert wurde der Glaube zunehmend durch die Vernunft in seine Schranken verwiesen. Einen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung unter dem Einfluss des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, der vor 300 Jahren geboren wurde. Seine Philosophie hat die Theologie der Neuzeit entscheidend geprägt. Das Jubiläum bietet eine Gelegenheit, sich mit den Sichtweisen des vielleicht einflussreichsten Philosophen der Moderne vertraut zu machen.

Hier ein Auszug aus einem Artikel, der bei Evangelium21 erschienen ist:

Wie stand Kant nun zu Glaubensfragen und Religion? In seiner religionsphilosophischen Schrift Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, die als Buch 1793 erschien (2. Aufl. 1794), präsentiert Immanuel Kant seine Sicht auf eine auf Vernunft beruhende Religion. Er erteilt darin der mittelalterlichen Metaphysik und Theologie eine Absage, weil sie Dinge verhandelt, die jenseits unserer Erfahrung liegen und damit nicht Gegenstand des wirklichen Wissens sein können. Trotzdem wollte er die metaphysischen Fragen nicht einfach wegwischen, denn: „Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft“ (KrV A VII).

Vernünftige Philosophie muss seiner Meinung nach die Idee eines Gottes zulassen, damit das Streben nach höchstem Glück und das moralische Handeln zusammengehalten werden. Diese Einheit lässt sich zwar nicht mehr unabhängig von der menschlichen Vernunft denken (wie früher in der Metaphysik angenommen), ist aber immer noch eine Idee, die uns vor aller Erfahrung in der Vernunft notwendig gegeben ist und die Einheit der Welt verbürgt. Kant verjagte also die Religion aus dem Bereich des Wissens in den Raum der praktischen Vernunft. Gott ist nur noch Gegenstand des vernünftigen Hoffens. Kant wollte „das Wissen aufheben, um zu Glauben Platz zu bekommen“ (KrV B XXX).

Seine Religionsschrift setzt seine drei kritischen Werke voraus. Allerdings wird er in einigen Punkten unmissverständlicher und setzt sich direkt mit dogmatischen und praktischen Fragen des christlichen Glaubens auseinander. Kant erörtert übernatürliche Offenbarungen, geht auf die Erbsünde ein, diskutiert Christologie, Rechtfertigungs- und Gnadenlehre sowie die letzten Dinge (auch Eschatologie genannt). Freilich interpretiert er all diese Themen aus der Perspektive seiner Vernunftreligion. Die Glaubensaussagen, die sich etwa in großen Bekenntnistexten oder Katechismen finden, werden neu ausgelegt. Jüdische Elemente, die in der Bibel enthalten sind, werden herausgefiltert. Die Trinitätslehre lehnt Kant ab. Jesus ist keine göttliche Person, sondern personifizierte Idee des guten Prinzips. Die Gnadentheologie und der Sühnegedanke bereiten ihm größte Schwierigkeiten. „Das Beten, als ein innerer förmlicher Gottesdienst und darum als Gnadenmittel gedacht, ist ein abergläubischer Wahn (ein Fetischmachen)“ (Religion B302). Das „Pfaffentum“ ist eine Form des Afterdienstes (Religion B270 ff.). Wenn es Wunder gäbe, führt Kant aus, wäre unsere Vernunft sowohl in praktischer wie in theoretischer Hinsicht unbrauchbar (vgl. KrV B 122–124). Die biblischen Geschichten werden von ihrer „mystischen Hülle entkleidet“, die den Vorstellungen alter Kulturen geschuldet ist, um schließlich ihren Vernunftsinn für alle Welt und alle Zeiten offenzulegen (Religion B 114). Das Reich Gottes ist irdisch gedacht als das Reich der Sinne und des Verstandes, – ein moralisches Reich, in dem Menschen ihre Pflichten erkennen (vgl. KrV, B 142).

Mehr: www.evangelium21.net. Etwas ausführlicher an dieser Stelle: mbstexte198_phil_anstoesse_deu.pdf.

Der Darwinismus kann alles erklären

Aus dem Schlusswort eines anerkannten Lehrbuchs zur Evolutionstheorie (Jan Zrzavý, Hynek Burda, David Storch u. a., Evolution: Ein Lese-Lehrbuch, Berlin u. Heidelberg: Springer, 2013, S. 455):

Wir wissen es nicht, wir haben keine Ahnung. Wir wissen nur, dass der Darwinismus in der Lage ist, alles zu erklären, und letztendlich irgendeine Erklärung bieten wird, wenn wir das Phänomen wirklich unter die Lupe nehmen würden. Dazu müssten wir aber wissen, wonach wir eigentlich genau fragen. Der Darwinismus bietet insoweit einen allgemeinen Erklärungsrahmen, als dass er als einziger mehr ermöglicht, als nur vor einer Vitrine mit Gehäusen zu stehen und zu staunen.

Na dann.

VD: RJ

Woke Wissenschaft

Susanne Gaschke hat – wieder einmal – die Stimmung an den deutschen Hochschulen auf den Punkt gebracht. Sie zeigt, wie eine woke Präsidentin ihre Universität auf Kurs bringt und diese ihre eigentlichen Leistungen gar nicht mehr erbringen kann. 

Zitat: 

Heute steht die TU beispielhaft für eine neue Politisierung und Polarisierung der Hochschulen, die fast überall in Deutschland zu beobachten ist. Man kann sie sogar als Paradigma für das ganze Land betrachten: Ähnlich wie die rot-grün-gelbe Regierungskoalition sieht sich die Unileitung als Fortschrittskraft, die mit Verve gesellschafts- und klimapolitische Anliegen vorantreibt – während zugleich Bürokratie, Fachkräftemangel und eine marode Infrastruktur den Normalbetrieb immer mehr einschränken. Die Präsidentin Geraldine Rauch versteht sich als Kämpferin für gesellschaftliche Veränderung – und gegen Tendenzen, die sie für reaktionär hält. Mit harschen Worten hat sie sich etwa gegen das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gewandt, einen bundesweiten Zusammenschluss von 750 Professoren, der seit längerem die zunehmende Moralisierung und Politisierung der Wissenschaft in Deutschland kritisiert. Im Februar bezeichnete Rauch die Gruppe in einem Beitrag für die Plattform „Table Media“ als „migrations- und genderdiversitätskritisch“. Den dort organisierten Wissenschaft[l]ern warf sie vor, sie würden zustimmend von der AfD zitiert. Die Mitgliederliste nannte Rauch „beunruhigend lang“ und beklagte, dass „leider auch Personen der TU Berlin dort vertreten sind“. Die TU positioniere sich klar gegen das Netzwerk – „als Zeichen für Demokratie und als Zeichen für die Solidarität mit allen Menschen“.

Mehr: www.nzz.ch.

Die ausgebuchten Taylor Swift-Gottesdienste

Es gibt derzeit einen Hype um die US-Sängerin Taylor Swift – auch unter Frommen. Izaac Cowling, der für die Gospel Coalition in Australien schreibt, meint, mit Songtexten von Swift das Evangelium zusammenfassen zu können/müssen. Blake Glosson schrieb für TGC in den USA den Artikel „7 Dinge, die Christen von Taylor Swifts Eras-Tour lernen können“. Der wurde allerdings wegen vieler Proteste schnell wieder zurückgezogen. Die Heiliggeistkirche Heidelberg setzt dem Hype nun eine Krone auf, in dem sie im Mai zwei „Taylor Swift-Gottesdienste“ anbieten wird. Das Nachrichtenportal der katholischen Kirche in Deutschland meldet:

Zwei Gottesdienste am 12. Mai in Heidelberg um die Lieder der US-Sängerin Taylor Swift haben großes Interesse geweckt. Nachdem der erste Gottesdienst um 11 Uhr bereits ausgebucht ist, seien auch alle 420 Karten für die zweite Veranstaltung um 13 Uhr kurz nach der Freischaltung am Donnerstagmorgen vergriffen, sagte Citykirchenpfarrer Vincenzo Petracca dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Donnerstag. „Ganz Deutschland scheint im Swift-Fieber zu sein“, sagte der evangelische Theologe. Am Freitag wolle der SWR-Rundfunksender „Das Ding“ vier Tickets für den Gottesdienst in der ersten Reihe verlosen. In den Gottesdiensten mit dem Titel „Anti Hero“ – nach dem gleichnamigen Swift-Song – interpretiert die Sängerin Tine Wiechmann, die bis vor kurzem Professorin für Pop-Kirchenmusik an der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg war, Stücke der Pop-Ikone. Thematisiert werde aber auch, welche Rolle der christliche Glaube im Leben der 34-jährigen Swift spiele. Mit 280 Millionen Followern auf Instagram, vier Grammys und musikalischen Milliardenumsätzen gilt Swift derzeit als eine der einflussreichsten Popstars.

Hauptsache, die Kirche ist mal wieder gefüllt. So einfach ist das.

Taylor Swift soll tatsächlich in einer christlichen Familie im US-Bundesstaat Tennessee aufgewachsen sein. In den letzten Jahren ist sie mehrfach als Missionarin der LGBTQ+Bewegung aufgetreten (siehe das eindrückliche Video zu ihrem Song „You need to calm down“).

Giles Gough hat versucht, die Dekonstruktion ihres Glaubens in „The changing faith of Taylor Swift“ nachzuvollziehen. Er schreibt dort :

Es scheint so, dass wir zwei Taylors haben. Die erste hat eine unkomplizierte, aber aufrichtige Beziehung zu Gott. Eine, die zu ihrer Bible Belt-Erziehung passt. Die zweite, die sich nur in Krisenzeiten an ihn wendet ist typisch für die säkulare Mainstream-Welt, in der sie lebt.

Natürlich ist dies eine Entwicklung, die über zwei Jahrzehnte hinweg stattgefunden hat, aber es ist verlockend, sich zu fragen, ob wir einen Wendepunkt finden können, einen Beweis für einen Moment, in dem Taylor ihren Glauben verloren haben könnte?

Vielleicht haben wir einen solchen Beweis in dem Song „Would’ve Should’ve Could’ve“ gefunden. Es wird allgemein angenommen, dass dieser Song von John Mayer handelt, einem amerikanischen Sänger, mit dem Swift angeblich eine Beziehung hatte, als er 32 und sie gerade 19 war. Die Beziehung endete unglücklich, und obwohl sie nur ein paar Monate dauerte, scheint diese Erfahrung Swift für ihr ganzes Erwachsenenleben gezeichnet zu haben. Nicht nur das, sondern sie deutet auch stark an, dass diese Beziehung ihre Beziehung zu Gott unwiderruflich beschädigt hat.

In einem Song voller biblischer Anspielungen sagt Swift uns das: „If you’d never touched me, I would’ve / Gone along with the righteous“ und „you’re a crisis of my faith“. Der Refrain „I regret you all the time“ hat zu intensiven Spekulationen geführt. Wie schlecht muss man eigentlich als Freund sein, um den Glauben an Gott zu erschüttern?

Für mich klingt Taylor Swift wie jemand, der seinen Glauben dekonstruiert hat und nun nicht mehr weiß, woran er glaubt. Das ist kein Urteil über ihren Charakter. Swift scheint sich immer noch nach Gott zu sehnen, und wenn sie ihn nicht finden kann, hat sie vielleicht versucht, ihr Heil in der romantischen Liebe zu suchen. Aber das ist nur eine fundierte Vermutung. Schließlich sprechen wir über den Glaubensweg einer Person, die sich noch auf diesem Weg befindet. Es ist durchaus möglich, dass Gott mit Taylor Swift noch nicht fertig ist.

Siegfried Kettling (1937–2024)

Am 11. April ist der ehemaliger Lehrer und Studienleiter Siegfried Kettling im Alter von 86 Jahren nach einer längeren Krankheitszeit im Frieden verstorben. Ralf Dörr (Vorsitzender der Bahnauer Bruderschaft) und Thomas Maier (Direktor der Ev. Missionsschule Unterweissach) haben einen kurzen Nachruf verfasst, den ich gern empfehle.

Siegfried Kettling hat viele Wahrheiten des evangelischen Glauben sehr gut verstanden und zudem verständlich ausgesprochen. Dass diese Wahrheiten den Menschen gelegentlich tief demütigen, hat ihn nicht gestört. Ich zitiere nachfolgend aus seinem Buch Typisch evangelisch (Wuppertal u. Gießen: Brunnen u. Brockhaus, 1992, S. 8–9):

Ich las von einem Jungen, der alles, was er fand, in seine Hosentasche steckte, so auch eines Tages einen merkwürdigen weißen Steinbrocken, den er auf einer Baustelle entdeckte. Anschließend watet er mit seinen Freunden in den nahen Dorfteich. Plötzlich beginnt er mörderisch zu schreien: „Es brennt, es brennt! Mein Bein brennt!“ Die Kameraden halten ihn für verrückt: Wie kann es mitten im kühlen Wasser brennen? Doch der Kleine setzt sein verzweifeltes Geschrei fort: „Hilfe, mein Bein brennt!“ Tatsächlich zeigt sich dann am Oberschenkel eine so tiefe Brandwunde, daß sofort ärztliche Hilfe nötig ist. Bei dem seltsamen Steinbrocken handelte es sich um gebrannten, ungelöschten Kalk. Wir wissen: Wenn solcher ungelöschter Kalk mit Wasser in Berührung kommt, setzt ein intensiver chemischer Prozeß ein, der von Zischen und Sieden und mächtiger Wärmeentwicklung begleitet ist.

Das mag ein schwaches Bild sein für das, was geschieht, wenn Gottes Gesetz mit dem gefallenen, Gott entfremdeten Menschen in Kontakt kommt, wenn „Geist“ auf „Fleisch“ stößt. Gottes Gesetz, das ist die Summe des guten göttlichen Willens, der auf Leben aus ist (Röm 7,10 „zum Leben gegeben“). Es ist – wie Paulus sagt – „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12), ja „geistlich“ (7,14). Es trägt also Gottes Art an sich, kommt von ihm, ist sein heilsames Gebot, seine helfende Weisung (Tora). Aber dieses göttliche Gesetz stößt nun auf den Sünder, auf den von Gott abgesonderten Menschen. „Fleisch“ ist dieser Mensch (Röm 7,18). „Fleisch“ – das hat nichts mit Biologie zu tun und dem Metzgerladen, auch nichts mit der idealistischen Unterscheidung zwischen dem Materiell-Triebhaften und dem Vernünftig-Geistigen im Menschen. „Fleisch“ meint nicht etwas, eine niedere Schicht im Menschen, sondern ist ein Ganzheitsurteil: „Fleisch“ ist der Mensch in seinem Widerstand gegen Gott, in seinem Wahn, wie Gott sein zu wollen. Dieses „Fleisch-Sein“ des Menschen äußert sich in doppelter Weise: als Selbst-Sucht und als Welt-Sucht.

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Spaltet das ChristusForum die Gemeinden?

Die sogenannten „Offenen Brüdergemeinden“ hatten sich im Dritten Reich dem Baptistenbund angeschlossen, weil nicht registrierte Gemeinden von den Behörden damals verboten wurden. 1980 wurde die „Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden“ (AGB) gegründet, um die Anliegen der Brüdergemeinden innerhalb des Bundes der Evanglisch-Freiklirchlichen Gemeinden angemessen zu vertreten (BEFG). Diese AGB benannte sich 2020 in das „ChristusForum Deutschland“ um, um einen internen Wandlungsprozesses auch sprachlich besser abzubilden (Einzelheiten können folgender Broschüre entnommen werden).

Dieses ChristusForum Deutschland hat in den letzten Tagen für Aufregung gesorgt, indem es seinen Austritt aus dem BEFG ankündigte. Auf der Jahreskonferenz des Forums vom 12.–13. April 2024 hatte eine große Mehrheit der Delegierten dafür gestimmt, eigene Körperschaftsrechte und damit die Unabhängigkeit vom Bund anzustreben. Mit dem Austritt würde der BEFG etwa ein Achtel seiner Mitglieder verlieren.

Die Gründe für den Austritt hat der Geschäftsführer des ChristusForums, Alexander Rockstroh, in einem idea-Interview beschrieben. Als Hauptgrund nennt er die Abschaffung von Doppelstrukturen. Hinzu kommen theologische Differenzen: „Wir sehen die geistliche Einheit als gefährdet. Zwischen Brüder- und Baptistengemeinden wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder kontrovers theologisch diskutiert. Heute besteht die Trennlinie nicht mehr zwischen ChristusForum und Baptisten, sondern zwischen theologisch konservativen und progressiven Gemeinden.“ Laut einer Klärungsdokumentation sieht das ChristusForums die Einheilt in folgenden theologischen Fragen gefährdert:

  • Infragestellung einer leibhaftigen, historisch realen Auferstehung Jesu;
  • Infragestellen des Sühneopfertodes Christi;
  • Infragestellung der Jungfrauengeburt;
  • Die Ordination von nicht-heterosexuell liebender und queerer Personen, die dies praktizieren und leben;
  • das Gleichsetzen von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe zwischen Mann und Frau;

Zitat (Klärungsdokumentation „Wo stehen wir?“, S. 12):

Es reicht unserer Meinung nach nicht aus, eine „Kirche des Dialogs“ zu sein. Miteinander sprechen und im Dialog zu sein ist gut und wichtig. Für die Fragen, bei denen man Homogenität voraussetzt, um eine Einheitsein zu können, braucht es ein gewisses Maß an Klarheit. Wenn die Rechenschaft vom Glauben unsere gemeinsame Bekenntnisschrift ist, dann müssten sich Positionen auch genau daran orientieren. Lehrmeinungen, Überzeugungen und Positionen, die nicht mit der Bekenntnisgrundlage übereinstimmen oder ihr sogar widersprechen, gehören nicht zur gewünschten Vielfalt, weil sie im Kern die geistliche Einheit zerstören. Dies muss auch in intensiven Diskussionsphasen beim Bundesrat etc. seitens des Präsidiums durch Klarstellung ihrer Sicht (z.B. durch eine Stellungnahme zu dem Buch „Glaube, Liebe, Hoffen“), deutlich gemacht werden.

Präsident Michael Noss und Generalsekretär Christoph Stiba haben inzwischen eine Erklärung zu den Trennungsabsichten des Forums für ihren Bund abgegeben. Darin heißt es:

Die Trennung wird mit einem Zerrbild des Bundes begründet und geht von falschen Annahmen aus. Nur ein Beispiel: Vom CFD ist zu hören, im BEFG stelle man den Sühneopfertod und die Auferstehung Jesu infrage. Wer sich damit befasst und sich beispielsweise Statements und Andachten leitender Verantwortlicher durchliest oder sich den aktuellen Podcast der Theologischen Hochschule Elstal anhört, merkt schnell, wie unfair und übertrieben solch verallgemeinernde Aussagen sind. Auch in Fragen der Sexualethik wird mitunter der Eindruck erweckt, im BEFG gebe es ausschließlich liberale Positionen. Richtig ist, dass es in unserem Bund respektiert wird, wenn Gemeinden zu unterschiedlichen Erkenntnissen kommen; auch darin drückt sich die Selbstständigkeit der Ortsgemeinde im Sinne des Kongregationalismus aus. Wir möchten unser Ringen in Erkenntnisfragen nicht über Grenzziehungen oder rote Linien definieren, sondern am gemeinsamen Bekenntnis festhalten.

Dabei hat unser Bund ein klares gemeinsames Glaubensfundament. Wir stehen auf der Grundlage der Heiligen Schrift. Unsere Glaubensbasis haben wir in der „Rechenschaft vom Glauben“ zusammengefasst, die wiederum Bezug nimmt auf das Apostolische Glaubensbekenntnis, das – wie die Heilige Schrift – alle Christen verbindet. Auf dieser Basis, deren unverrückbare Mitte Christus ist, sind wir eine Kirche des Dialogs. In der Diskussion um die Trennungsabsichten des CFD wird der falsche Eindruck erweckt, Dialog sei mit Beliebigkeit gleichzusetzen. An dieser Stelle möchten wir hierzu das wiederholen, was Präsidium, Bundesgeschäftsführung und die Leiterinnen und Leiter der Landesverbände im November 2023 in ihrer Stellungnahme „Gemeinsam sind wir Bund!“ über das Miteinander der konfessionellen Traditionen im BEFG geschrieben haben:

Eine solche Übereinkunft setzt […] einen anhaltenden Dialog voraus. Dazu gehört die Bereitschaft, diese Übereinstimmung immer wieder neu in den Blick zu nehmen und ihre Konkretion auch miteinander auszudiskutieren. Solche theologischen Gespräche sind nie einfach, brauchen Zeit, Gebet und dauern mitunter viele Jahre. Dabei sind das geistliche Miteinander und das Beieinanderbleiben in aller Unterschiedlichkeit ein starkes Zeugnis für die Menschen in unseren Gemeinden und darüber hinaus. Eine Trennung wäre ein fatales Signal. Wir haben einen gemeinsamen Auftrag. Wir sind mit hineingenommen in Gottes Mission. Wir sind dazu berufen, in Einheit der Welt die gute Nachricht von Jesus Christus zu verkündigen. Diese Einheit untereinander macht uns glaubwürdig, damit die Welt glaubt. Lasst uns diese Einheit bewahren, wo sie vorhanden ist, schützen, wo sie gefährdet ist, und neu suchen, wo sie abhandengekommen ist. Wir sind berufen, das Band des Friedens zu knüpfen, mögliche Schritte aufeinander zuzugehen, vorhandene Vorurteile abzubauen und Einwände respektvoll zu formulieren und zu vertreten, Verschiedenheiten untereinander anzuerkennen, voneinander zu lernen, füreinander zu beten und gemeinsam Christus in Wort und Tat zu verkündigen. In diesem Sinne wünschen wir uns, dass wir uns den Glauben gegenseitig glauben. Wir wollen die Vielfalt in der Einheit, in der Jesus Christus das Zentrum ist und bleibt.

Traurig müssen wir erkennen, dass Teile des Bundes anderen Teilen des Bundes ihren Glauben nicht glauben. Gemeinden, in deren Geschichte die baptistische und die Brüder-Tradition bedeutsam sind, stehen jetzt möglicherweise vor einer Zerreißprobe.

Nun bin ich kein Freund des Separatismus und gebe zu, dass solche Trennungserfahrungen immer mit Schmerzen verbunden sind und dort, wo möglich, vermieden werden sollten.

Was mich allerdings ärgert, ist, dass die Vertreter des BEFG den Eindruck erwecken möchten, das ChristusForum habe spalterische Absichten. Die Formel, dass „wir uns den Glauben gegenseitig glauben“, habe ich vor einigen Jahren mal von Ulrich Eggers gehört. Ich halte sie für völlig ungeeignet, notwendige theologische Klärungen herbeizuführen. Sie soll nämlich verschleiern, dass es substantielle Unterschiede im „Was-Glauben“ gibt (fides quae creditur), indem auf die gegenseitige Anerkenntnis des persönlichen Glaubensaktes verwiesen wird (fides qua creditur). Natürlich kann ein Christ glauben, dass ein Zeuge Jehovas seinen Glauben sehr ernst nimmt. Und doch wird er hoffentlich darauf verweisen, dass der Glaubensinhalt eines Zeugen Jehovas biblisch nicht gedeckt ist.

Wenn der WAS-Glaube sich von der Schrift entfernt hat, muss das notfalls zu Spaltungen führen (vgl. 1Kor 11,19). Die Verantwortung für diese Spaltungen tragen diejenigen, die es versäumt haben, an der heilsamen Lehre festzuhalten. Ein Kirchenbund, in dem alles geglaubt werden darf, ist wertlos. Ich zitiere dazu den Punkt 4 aus dem Dokument „Gemeinsam für das Evangelium“:

Die Einheit aller Christen ist ein von Gott bewirktes Wunder. Sie soll nicht durch Parteiung und Selbstsucht gefährdet werden. Abseits der Wahrheit des Evangeliums kann es keine Einheit geben. Echter Glaube wird nicht zuerst durch die individuelle Lebensgeschichte bestimmt. Unterschiede, die nicht zum Wesen des Evangeliums gehören, müssen ertragen werden. Vor falscher Lehre bezüglich des Evangeliums muss offen gewarnt werden.

Das „Kentler-Experiment“

Namhafte Reformpädagogen der Nachkriegszeit haben – wie schon vor vielen Jahren bekannt wurde – Jugendliche und Kinder sexuell missbraucht. Ein neuer Bericht der Universität Hildes­heim erhebt schwere Vorwürfe gegen die wichtigsten Vertreter der Reformpädagogik der Nachkriegszeit, wie etwa Helmut Kentler oder Herbert E. Colla.

Marco Kammholz hat für jungle.world neue Erkenntnisse zusammengestellt: 

Je mehr über diese Machenschaften bekannt wird, umso fassungsloser bleiben Wissenschaft und Öffentlichkeit zurück. Mittlerweile ist bekannt, dass Kentler auch selbst sexuell übergriffig gegen von ihm betreute Kinder und Jugendliche geworden ist. Außerdem ­unterstützte ihn nicht nur die Berliner Senatsverwaltung in Gestalt des Landesjugendamtes. Es gab vielmehr ein größeres Netzwerk als bisher angenommen, das bundesweit sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und den in Pflegestellen oder Wohngruppen ­betreuten Jugendlichen und Kindern begünstigt und teils organisiert hat.

Bekannt wurde das vor allem, weil sich in den vergangenen Jahren Betroffene bei den Aufarbeitungsprojekten des erziehungswissenschaftlichen Instituts der Universität Hildesheim gemeldet haben. Eine Forschungsgruppe um die Erziehungswissenschaftlerin Meike Sophia Baader hat nun erneut einen Bericht über Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe veröffentlicht. Die Autoren sprechen darin davon, dass es eine Entgrenzung des sogenannten Experiments gegeben habe, und ziehen den Schluss, „dass der bisherige Fokus auf die Person Helmut Kentler, auf die Pflegekinderhilfe, auf Berlin und auf die Zeit der 1960er und 1970er Jahre zu eng ist“. Es lasse sich vielmehr ein breiteres Netzwerk rekonstruieren, „das die Positionen Helmut Kentlers geduldet, legitimiert, rezipiert und unterstützt hat – und es bis in die Gegenwart tut“. Dieses umfasse neben Reformpädagogen auch ­Jugendamtsmitarbeiter und Sozialarbeiter. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Interviews mit Personen, die in reformorientierten Jugendhilfemaßnahmen sexuelle Gewalt erlitten haben. Sie berichten von sexuellen Übergriffen und Grenzverletzungen in verschiedenen Einrichtungen der Jugendhilfe oder der evangelischen Kirche, auch durch namhafte Pädagogen.

Mehr: jungle.world.

Das tausendjährige Reich

Unter Eschatologie versteht man den Bereich der christlichen Theologie, der sich mit dem Studium der letzten Dinge befasst. Es geht um die zukünftige Wiederkunft Christi, die Auferstehung, die Entrückung, das Endgericht und die ewige Seligkeit der Erlösten mit Christus sowie die ewige Strafe der Verdammten ohne Christus. Bekanntlich gibt es zu diesen Themen ein beträchtliches Meinungssprektrum. In dem Artikel „Ansichten zum Tausendjährigen Reich“ stellt Alan S. Bandy verschiedene Sichtweisen zum „Millennium“ vor:

Die verschiedenen Eschatologien, die im Laufe der Geschichte von Theologen vertreten wurden, lassen sich in drei allgemeine Systeme einteilen: Amillennialismus, Postmillennialismus und Prämillennialismus. Die Bezeichnungen unterscheiden sich jeweils durch eine Vorsilbe, die dem Begriff „Millennium“ vorangestellt ist, der sich aus den beiden lateinischen Begriffen mille (tausend) und annus (Jahr) zusammensetzt.1 Diese Fachbezeichnungen sind deshalb entstanden, weil im Laufe der Zeit jede der drei Sichtweisen durch ihre Auslegung von Offenbarung 20,1–10 bekannt wurde, insbesondere was die Frage des Zeitpunkts der Wiederkunft Christi in Bezug auf den dort erwähnten Zeitraum von 1.000 Jahren betrifft. Daher erwarten Amillennialisten kein Millennium (die Vorsilbe A- bedeutet „kein“); Postmillennialisten glauben, dass Christus nach dem Millennium wiederkommt (die Vorsilbe Post- bedeutet „nach“); und Prämillennialisten glauben, dass Christus vor dem Millennium wiederkommt (die Vorsilbe Prä- bedeutet „vor“).

Mehr: www.evangelium21.net.

Großbritannien stellt medizinische Behandlung von Transgender-Kindern auf den Prüfstand

Die Ampel-Regierung hat im Deutschen Bundestag gerade das Selbstbestimmungsgesetz durchgesetzt. Erwachsene dürfen, wenn das Gesetz in Kraft tritt, für sich und Kinder unter 14 die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht ohne weitere Voraussetzungen im Standesamt erklären. Und zwar einmal pro Jahr. Die Biologie spielt keine Rolle mehr, das Geschlecht ist eine Gefühlsfrage (siehe hier). Trotzdem soll der Körper nachziehen, weshalb geschlechtsangleichende Operationen angeboten werden. Der Körper soll das wahre „innere Ich“ abbilden. 

In Großbritannien ändert sich die Einstellung zum Geschlechterwechsel gerade. Die einzige Klinik, die dort in den vergangenen Jahrzehnten Geschlechtsumwandlungsverlangen von Jugendlichen und Kindern medizinisch betreute, das Londoner Tavistock Center, wurde vom Gesundheitsdienst inzwischen geschlossen. Nun hat eine Kinderärztin ein Gutachten vorgelegt, das Anlass dafür gibt, die medizinische Behandlung von Transgender-Kindern grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen.

Die FAZ schreibt (vgl. a. hier):

In Großbritannien steht die gesamte medizinische Behandlung von Transsexuellen, die einen Geschlechterwechsel anstreben, zur Disposition. Ein Gutachten der Kinderärztin Hilary Cass hat starke Zweifel an der bisher bei Jugendlichen und Kindern gängigen Verschreibung von Pubertätsblockern und Geschlechtshormonen angemeldet und festgestellt, es gebe „bemerkenswert schwache Belege“ dafür, dass sie den Gesundheitszustand der jungen Patienten tatsächlich förderten.

Cass, die im Jahr 2020 vom staatlichen Gesundheitsdienst (NHS) für England und Wales mit ihrer Untersuchung beauftragt wurde, zog nicht nur bisherige Behandlungsmethoden in Zweifel, sondern beklagte auch eine „polarisierte öffentliche Debatte“, in der gegnerische Seiten Forschungsergebnisse zur Untermauerung ihrer jeweiligen Standpunkte verwendeten, ohne die Qualität der zugrunde liegenden Studien zu beachten.

Bedeutsam ist auch folgende Aussage: „Die Gutachterin mutmaßte, eine Ursache für den großen Anstieg von Geschlechtsumwandlungswünschen junger Frauen könne in dem hohen Konsum sozialer Medien liegen. Cass sagte im Sender BBC, vor 15 Jahren hätten sich in dem jetzt geschlossenen NHS-Zentrum zur Entwicklung von Geschlechteridentität weniger als 50 Kinder im Jahr gemeldet, meist seien es dem Geburtsregister-Eintrag gemäß Jungen gewesen. Im vergangenen Jahrzehnt habe es einen Anstieg auf 3000 Fälle gegeben, bei denen es sich überwiegend um Mädchen in frühem Teenageralter handele, die sich als Jungen fühlten und die oft unter ‚komplizierten zusätzlichen Problemen‘ litten.“

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

Thomas – ein angefochtener Jünger

Paul Bruderer hat für die Zeitschrift IDEA den feinen Artikel „Über den Umgang mit Glaubenskrisen“ verfasst (Ausgabe 15, 10.04.2024, S. 18–21). Hier ein Auszug: 

Thomas wird manchmal der „ungläubige Thomas“ genannt. Ungläubig würde jedoch heißen, dass er sich bewusst von Jesus abwendet und den Glaubenskontakt zu Christen abbricht. Dies trifft auf Thomas nicht zu. Vielmehr wird er uns vorgestellt als einer, der aufgrund der Ereignisse in seinem Leben – der Tod von Jesus Christus mit den daraus resultierenden theologischen Fragen – das bisher Geglaubte infrage stellt. Dies ist eigentlich das Zeichen eines gesunden Glaubens. Ein reifer und gesunder Glaube ist fähig, die Gründe für unsere Hoffnung zu artikulieren (1. Petrus 3,15) und ist entsprechend auch angefochten, wenn diese Beweise wegbrechen.

Es ist etwas Gutes, dass Thomas nicht – salopp gesagt – „jede Kröte schluckt“, die man ihm vorhält. Er ist nicht leichtgläubig wie Christen, die nahezu alles akzeptieren, was ihnen auf einem Tablett serviert wird – vom Pfarrer, Prediger, dem neuesten Buch auf dem Markt oder Influencer in den Sozialen Medien. Thomas ist hierin ein Glaubensvorbild und eine Ermutigung für alle, die durch eine Glaubenskrise gehen, sich nicht abfertigen zu lassen mit schnellen oder fadenscheinigen Antworten. Thomas ist kein Ungläubiger, sondern ein angefochtener Gläubiger. Sein Ruf nach Beweisen gleicht einem Protest, bringt aber im Grunde seine Sehnsucht zum Ausdruck, wieder an Jesus glauben zu können. Christen sollten vorsichtig sein, Zweifler vorschnell als „Ungläubige“ zu sehen oder als solche, die „den Glauben verloren haben“. Sie sollten sich bewusst sein, dass der Zweifler in ihrer Mitte möglicherweise eine ähnliche Kehrtwende erleben wird wie Thomas, der vom Zweifler und Spielverderber zum Lehrer und Leiter in der Gemeinde wird.

IDEA-Abonnenten können die gesamten Artikel hier nachlesen: www.idea.de.

Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen denkbar

Die Ampel hatte versprochen, sich mit dem rechtlichen Status von Schwangerschaftsabbrüchen zu befassen. Dafür setzte sie eine Kommission ein. Die legt nun Empfehlungen vor. Abtreibungen sollen nach Auffassung dieser Kommission künftig in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen grundsätzlich erlaubt sein. Das berichtet DER SPIEGEL unter Berufung auf den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe, der kommenden Montag vorgestellt werden soll. Die FAZ schreibt

Darin heißt es laut Magazin, dass die grundsätzliche Rechtswidrigkeit der Abtreibung in der Frühphase der Schwangerschaft nicht haltbar sei. Die aktuellen Regelungen im Strafgesetzbuch hielten einer „verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Prüfung“ nicht Stand. Sobald der Fötus eigenständig lebensfähig ist, sollten Abbrüche laut Kommission hingegen weiterhin verboten bleiben. Diese Grenze liege ungefähr in der 22. Woche seit Beginn der letzten Menstruation.

Eine Abtreibung ist derzeit grundsätzlich rechtswidrig. Sie bleibt jedoch straffrei, wenn sie in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Zudem muss die schwangere Frau sich zuvor beraten lassen; zwischen Beratung und Abbruch müssen mindestens drei Tage liegen. Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist ein Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung sowie bei Gefahren für das Leben, die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren.

Vertreter aus Kirche, Staat und Gesellschaft haben sich irritiert bis ablehnend zu den an das Magazin DER SPIEGEL durchgestochenen Empfehlungen geäußert, berichtet DIE TAGESPOST:

Berlins Erzbischof Heiner Koch, der die Familien-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz leitet, sagte der Katholischen Nachrichtenagentur KNA, „die bestehende Regelung hält sowohl die Not und Sorge der Mutter als auch Schutz des Kindes hoch. Das durch eine Neuregelung zu gefährden, halt ich für sehr problematisch“. Er hoffe, dass die Politik bei dem Thema sehr bedacht vorgehe. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ja eindeutig: Es nimmt die Gesellschaft und den Staat in die Pflicht, das ungeborene Leben zu schützen. Insofern muss erstmal der Nachweis geführt werden, wie das ohne Strafrecht in verfassungskonformer Weise sichergestellt werden kann“, betonte Koch.

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