Das Wunder des Glaubens

Der Philosoph Sebastian Ostritsch, der inzwischen für die TAGESPOST arbeitet, hat der HERDER Korrespondenz erzählt, wie er vom Hegelianer zum Katholiken wurde. Es begann mit Gebeten, dann wuchs der Zweifel an dem Glauben, dass die Vernunft alles ist. 

Zitat: 

Ich halte es inzwischen für eine grundlegende philosophische Einsicht, dass es Dinge gibt, die über die Vernunft hinausgehen. Das heißt nicht, dass sie unvernünftig sind, sondern übervernünftig, wenn man so will. Das Denken hat sich an der Wirklichkeit zu messen. Und es gibt eine Wirklichkeit des Glaubens. Der muss man als Philosoph gerecht werden, wenn man zum Beispiel Religionsphilosophie betreibt. Jürgen Habermas sagt von sich selbst, er sei religiös unmusikalisch. Das heißt: Ihm ist diese Wirklichkeit fremd. Wenn man aus einer solchen Perspektive über die Religion philosophiert, dann spricht man wie ein Farbenblinder über die Farbe.

Mehr: www.herder.de.

VD: ML

Gottes Segen nicht vergessen

Ich zitiere hier zustimmend aus einem Leserbrief von Joachim Cochlovius, der am 21. Novemer 2025 in der FAZ erschienen ist (Nr. 271, S. 7):

Zum Leitartikel von Nikolas Busse „Europas Abstieg“ (F.A.Z. vom 30. Oktober): Den schleichenden Macht- und Einflussverlust der EU finde ich in diesem Artikel zutreffend diagnostiziert, und ich möchte mich dafür bedanken. Auch der Vorwurf einer „weltfremden Mentalität“, die der übrigen Welt die eigene Klima- und Asylpolitik aufzudrängen versucht, ist meines Erachtens stichhaltig. Schon 2015 wurde ich in Australien mit Kopfschütteln auf die Migrationspolitik von Angela Merkel hin angesprochen.

Als wichtigste Therapie sieht Busse eine neue wirtschaftliche und militärische Stärke der Mitgliedstaaten an. In einer Welt, in der immer mehr Länder „ihre nationalen Interessen rücksichtslos verfolgen“, ist das zweifellos ein richtiger und wichtiger Aspekt.

Was mir aber in diesem Artikel zu kurz kommt, ist die weltanschaulich-religiöse Dimension des europäischen Niedergangs. Die kann man etwas pauschal formuliert auf einen kurzen Nenner bringen: Es fehlt der Segen Gottes. Der Prophet Jesaja hat einmal eine diesbezügliche Warnung an die Völker ausgesprochen: „Beschließt einen Rat, und es werde nichts daraus; beredet euch, und es geschehe nicht“ (Jesaja 8,10). Das klingt wie eine Ankündigung der Misere Europas und speziell Deutschlands.

Ganztages-Krippe in der Kritik

Unter der Leitung der Bildungswissenschaftlerin Veronika Verbeek kritisiert der Aufruf „Kita-Kindeswohl-im-Blick“ die von oben gewünschte Ganztagsbetreuung von Kleinkindern. Behauptet wird, dass die unter Dreijährige Schaden nehmen, wenn sie acht Stunden am Tag in der Kita sind? 

Diese Kritik hat nun Fachverbände auf den Plan gerufen, die den Leuten hinter „Kita-Kindeswohl-im-Blick“ unterstellen, Unsicherheit schüren und rechte Strömungen  fördern zu wollen. Zitat aus einer Stellungnahme der Alice Salomon Hochschule Berlin

Fehldarstellungen des Aufrufs begünstigen rechte Strömungen, schüren Unsicherheit bei Eltern und Pädagog_innen

Mehrere wissenschaftliche Fachverbände der frühen Kindheit kritisieren den Aufruf „Kita-Kindeswohl-im-Blick“ eines nicht näher benannten Aktionsbündnisses, vertreten von Veronika Verbeek, scharf. Der Aufruf nutzt verkürzte, irreführende, wissenschaftlich unhaltbare und falsche Darstellungen, die Verunsicherung bei Fachkräften und Eltern schüren. „In der Begleitung von Kitas erleben wir, wie pädagogische Teams auf wissenschaftlicher Basis qualitätsvolle Kita-Praxis gestalten und sich weiterentwickeln – unbelegte Pauschalkritik wie der Aufruf von Frau Verbeek verunsichert Eltern, entwertet die Arbeit der Fachkräfte und behindert eine konstruktive Weiterentwicklung der frühen Bildung“, sagt Anne-Katrin Pietra, 2. Vorsitzende des Bundesnetzwerks Fortbildung und Beratung in der Frühpädagogik e.V.. Durch pauschalisierende Kritik an Krippenbesuchen und der undifferenzierten Forderung nach „mehr Anleitung von Kindern“ in Kindertageseinrichtungen bietet er rechten Strömungen eine Plattform für autoritäre Pädagogik.

Die im Aufruf geäußerten Positionen, die sich auf Verbeeks problematisches Buch „Die neue Kindheitspädagogik“ stützen, stellen einen nicht haltbaren Rückschritt dar und untergraben die seit über zwei Jahrzehnten etablierte wissenschaftliche Expertise und reflektierte Vielfalt in der Pädagogik der frühen Kindheit im deutschsprachigen Raum.

Hannah Lühmann warnt in der WELT vor einer ideologischen verstellten Diskussion. Es gibt sehr wohl starke Gründe dafür, dass Kleinkinder zu Hause betreut werden. Wer Pädagogen, die das Kinderkrippen-Modell für problematisch halten, einfach in die rechte Ecke schiebt, macht es sich viel zu einfach. Zitat:

Natürlich macht das Angst. Wer sich als Frühbetreuung in Anspruch nehmendes Elternteil in die Untiefen der Internetrecherche begibt, bekommt schnell Puls. Denn es sind keineswegs nur auf alternativen Irrwegen herumgeisternde Waldorfmütter und Tradwives, die den modernen Lebensentwurf der Doppelverdienerfamilie infragestellen. Die schmerzhaft relevante Frage, ob es Kindern unter drei Jahren schadet, einen großen Teil ihres Tages in Betreuungseinrichtungen zu verbringen, ist, so scheint es, nicht eindeutig zu beantworten.

Wer sich ein wenig mit der Materie beschäftigen will, dem sei die Lektüre der sogenannten NICHD-Studie aus den frühen 1990ern angeraten. Auch die Internetseite der jeglicher reaktionärer Bestrebungen unverdächtigen Gesellschaft für frühkindliche Bildung ist hoch aufschlussreich. Bezieht man unvoreingenommen alle Forschung ein, die es zu diesem Thema gibt, erscheint es unausweichlich, anzuerkennen: Die umfangreiche außerfamiliäre Betreuung von unter Dreijährigen ist zumindest ein Unterfangen mit Risiken. In der immer häufiger stattfindenden Variante, bei der Kinder von ihren berufstätigen Eltern um 8 Uhr in die Kita gebracht und erst um 17 wieder Uhr abgeholt werden, scheint sie besonders problematisch. 

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.welt.de.

„Nach der Abtreibung war ich erleichtert wie selten zuvor“

Expressiver Individualismus ist nach Carl Trueman die Überzeugung, dass das wahre Selbst im Inneren eines Menschen liegt und dass Authentizität darin besteht, dieses innere Selbst nach außen auszudrücken – unabhängig von äußeren Normen, Traditionen oder Autoritäten. Moralische Kategorien wie „gut“ oder „schlecht“ verschieben sich: Schlecht ist, was innere Selbstverwirklichung behindert. Gut ist, was Selbstverwirklichung ermöglicht.

In der FAZ ist ein gutes Beispiel für den expressiven Individualismus zu finden. Die Autorin Stefanie de Velasco beschreibt dort, warum es für sie besser ist, „kinderfrei“ zu leben. Hier ein Auszug: 

Ein Leben lang hatte ich penibel verhütet, auch deswegen bemerkte ich es erst spät: Plötzlich war ich schwanger. Es war ein unangenehmes, surreales Gefühl, ich musste die ganze Zeit an die schmelzenden Uhren von Dalí denken. Den Test machte ich auf einem Klo in der Staatsbibliothek, wo ich gerade meine Magisterarbeit schrieb.

Nach der Abtreibung war ich erleichtert wie selten zuvor. Hieß das, ich will nicht Mutter werden? Keine Ahnung. Das Leben meiner Freundinnen mit Kindern wollte ich jedenfalls nicht. Mir kam es vor, als ob einige mit der Geburt ihrer Kinder in eine Art Mutterland gezogen seien, aus dem sie nicht mehr ausreisen konnten. Wenn ich sie mal sah, wirkten sie überfordert. In den Beziehungen kriselte es, sie hatten keinen Sex mehr. Ihre Kinder bereiteten ihnen zwar großes Glück, aber viele ihrer eigenen Wünsche verpufften mit ihnen.

Es war, als wäre ich aus einem seltsamen Traum erwacht. Vor meiner Abtreibung war ich von vielen gewarnt worden – egal ob auf Websites, in der Schwangerschaftskonfliktberatung oder von meiner Therapeutin: Ich würde „es“ bereuen, in Depressionen und Schuldgefühle verfallen. Immer, immer würde ich an das Ungeborene denken, traurig seine Geburtstage zählen.

All das ist nie eingetreten. Ich fühle mich jeden Tag aufs Neue in meiner Entscheidung bestätigt: Ein Leben ohne Kinder ist besser – für mich. Auch wenn es diesen klaren Moment, in dem ich wusste, ich will Kinder oder nicht, nie gab. Wie auch? Gewollt/ungewollt kinderlos – was sind das für lächerliche Kategorien? Reproduktive Biographien sind zu komplex, um sie in diese beiden Schubladen zwängen zu können.

Mehr (hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

Das ‚zweieinhalbte‘ evangelische Sakrament

Luther war sich zunächst unschlüssig, darüber, ob die Beichte als drittes Sakrament zu verstehen sei. Zitat (Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie, 2007, S. 244–245):

Bemerkenswert ist die Stellung des Artikels über die Beichte im Kleinen Katechismus zwischen Taufe und Abendmahl. Dass wir in unseren Gemeinden allerdings die Einzelbeichte kaum noch kennen und auch die Gemeindebeichte – die „Offene Schuld“ – im Zusammenhang des Herrenmahls häufig nur noch in abgeschwächten Formen, ist ein schwerwiegender Verlust evangelischer Frömmigkeits- und Glaubensgeschichte. Die Erweckungsbewegung im 19. Jh. lässt sich als eine Antwort auf diesen Verlust verstehen.

Luther war sich zunächst unschlüssig, ob er die Beichte als drittes Sakrament verstehen sollte. Der altgläubigen Tradition gegenüber hatte er – mit der Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ – die Siebenzahl der Sakramente auf zwei reduziert mit dem Argument, nur das könne als Sakrament gelten, was eine klare biblische Einsetzung Christi mit Wort und Zeichen aufzuweisen hat. Für die Beichte aber ist nur ein Wort gegeben (Mt 16,19; 18,18; Joh 20,22f), kein zusätzliches materielles Zeichen. So bildet sie in der Zuordnung zur Taufe – als Rückkehr zu ihr – sozusagen das ‚zweieinhalbte‘ evangelische Sakrament.

„Was ist die Beichte? Antwort: Die Beichte umfasst zwei Stücke. Eines, dass man die Sünde bekenne, das andere, dass man die Absolution oder Vergebung von dem, der die Beichte hört, als von Gott selbst empfange und ja nicht daran zweifle, sondern fest glaube, die Sünden seien dadurch vergeben vor Gott im Himmel.“

Damit, dass ein Mensch mir im Namen Gottes die Vergebung zusagt, hat mir Gott selbst im selben Akt und Augenblick vergeben. Das menschliche Wort ist nicht nur Hinweis auf das göttliche, sondern ist das göttliche Wort selber. Gottes Wort kommt als Menschenwort – das ist seine Erniedrigung. So wie Gott im Leib der Maria Mensch wird, so kommt er zum Sünder in dem Wort, das ihm von einem anderen Menschen im Namen Gottes gesagt wird. Nach dem Verständnis Luthers ist dieser andere Mensch nicht nur der ordinierte Amtsträger, sondern jeder Getaufte.

Luther: Der Vorrang der Schrift

Oswald Bayer geht in seinem Buch Martin Luthers Theologie auch der Frage nach, warum für den Reformator die Heilige Schrift Autorität besitzt. Dabei hebt Bayer heraus, dass für Luther die Schrift sich selbst zu Gehör bringt. Bei aller notwendigen wissenschaftlichen Arbeit am und mit dem Text ist das Verkündigen und Hören eben ein Prozess, der uns Menschen überfordert und deshalb ohne Geistwirken undenkbar ist.

Zitat (Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie, 2007, S. 62–63):

Luthers Grundthese lautet: Sacra scriptura „sui ipsius interpres“ — die Heilige Schrift legt sich selbst aus. Diese These reicht weit über die Konkordanzmethode hinaus, wonach eine Schriftstelle durch die andere auszulegen und mit ihr in Übereinstimmung zu bringen ist. Sie betrifft nämlich die Wirksamkeit des Textes im Bezug auf seine Leser, Hörer und Ausleger. In diesem umfassenden Sinn besagt „sacra scriptura sui ipsius interpres“: Der Text bringt sich selbst zu Gehör.

Bei aller Arbeit der Auslegung, die wissenschaftlich – handwerklich solide sowie klar und kontrollierbar – zu leisten ist, bleibt das Verstehen des biblischen Wortes im letzten unverfugbar. Wir haben diese Spannung in Luthers Theologiebegriff schon wahrgenommen: Bildungsarbeit einerseits – grammatische und philosophische Bildung des Theologen, geduldiges Meditieren und Auslegen –, zugleich aber die unverfugbare Geistgabe, wie sie Luther selbst mit seiner reformatorischen Entdeckung empfing, als sich ihm mit dem Aufleuchten der Gottesgerechtigkeit „die Tore des Paradieses“ öffneten. Nicht der Ausleger ist es, der dem Text einen Sinn gibt oder den Text verständlich macht; vielmehr soll der Text von sich aus sagen dürfen, was er von sich aus zu sagen hat. Dann wird die gängige Unterscheidung, wonach die Heilige Schrift als Formalprinzip des Protestantismus gilt und die Rechtfertigung als dessen Materialprinzip, sich erledigen. Die Autorität der Schrift ist keine formale, sondern eine höchst materiale, inhaltliche. Sie ist die Stimme ihres Autors, der gibt: der staunen, klagen und loben lässt, fordert und erfüllt.

Ukraine: Kriegsalltag in Dnipro

Anbei gebe ich einen Mitarbeiterbericht der Osteuropamission Schweiz wieder. Ein solcher Augenzeugenbericht kann uns dabei helfen, an die Menschen und insbesondere die Geschwister in der Ukraine und anderen Kriegsgebieten zu denken.

Gertjan, zusammen mit seiner Frau ein Mitarbeiter der Mission vor Ort, berichtet:

Wir hatten ein schwieriges Wochenende. Am Freitagabend sah ich von meiner Couch aus eine Explosion am anderen Ende der Stadt. Es schien in der Nachbarschaft zu sein, in der ich früher gewohnt habe. Eine Drohne flog direkt in eine Wohnung und tötete drei Menschen. Am nächsten Tag schickte Tanyas Sohn ein Video, denn diese Drohne traf eine Wohnung nur 100 Meter von der Wohnung entfernt, in der ich früher lebte. Zuerst zeigt er auf dem Video rechts, wo er jetzt wohnt, und dann links, wo die Drohne die Wohnung getroffen hat. Die Drohne kam von der Seite, sodass der größte Schaden auf der anderen Seite der Wohnung entstanden ist. Aber der Herr hat uns während des ganzen Beschusses beschützt, und nicht einmal ein Fenster ist zerbrochen. Denn wir hatten vier beängstigende Stunden mit ständigen Luftalarmen und Drohnen, die nicht weit von uns einschlugen. Sogar einige Raketen flogen in unsere Nachbarschaft. Wenn sie explodieren, bebt der Boden, und es war beängstigend, daran zu denken, was passieren würde, wenn sie irgendwo nahe einschlagen würden. Ich weiß nicht, ob viele davon schon in der Luft abgeschossen wurden, oder ob sie etwas getroffen haben. Das Elektrizitätswerk befindet sich auf der anderen Seite des Flusses, und ich glaube, die meisten sind in diese Richtung geflogen. Jedenfalls sind einige Kraftwerke getroffen worden, denn wir haben jetzt wieder Stromausfälle. Heute wird der Stromausfall 7 Stunden dauern! Von 14.30 bis 21.30 Uhr. Das bedeutet, dass wir nicht kochen können, da wir einen Elektroherd haben. Der Aufzug funktioniert nicht und wir wohnen im 7. Stock! Und wir haben keine Heizung, weil die Zentralheizung für unser Gebäude Strom benötigt. Wir haben einen Ecoflow, eine Batterie für den Notfall, aber die hält keine 7 Stunden. Wie auch immer, wir machen das Beste daraus. Wir sind dankbar, dass es noch nicht sehr kalt ist, aber wir werden einen harten Winter vor uns haben. Übrigens Nastya, Tanyas Tochter, wohnt im 23. Stock! Für sie ist es ohne Lift echt krass, ihren Hund auszuführen. Aber für ältere Menschen und diejenigen, die nicht so mobil sind, ist diese Situation schlicht unmöglich.

VD: JJ

Frankreich: Der Klang des Glaubens

Lange Zeit schien Religion in Frankreich eine verblassende Erinnerung zu sein: leere Kirchen, sonntägliche Gleichgültigkeit, ein Katholizismus, der nur noch zu Weihnachten und bei Beerdigungen aufleuchtet. Doch während traditionelle Konfessionen müde wirken, leuchten in vielen Städten neue Lichter auf: Evangelikale Gemeinden, die oft unscheinbar in Industriegebieten liegen, sind an den Wochenenden randvoll – jedenfalls laut einem Pressebericht.

Zitat:  

Nach Zahlen des Conseil National des Évangéliques de France (CNEF) gehören rund eine Million Menschen dieser Bewegung an – und jeden zehnten Tag entsteht irgendwo im Land eine neue Kirche. Das ist kein Einzelfall, das ist ein Trend. Besonders auffällig: Bei den unter 35-Jährigen bezeichnen sich mehr als die Hälfte der Protestanten als evangelikal. Es sind junge Menschen, digital vernetzt, emotional offen, auf der Suche nach Sinn.

Ein 25-jähriger Pariser, ehemals Atheist, erzählt: „Ich war müde von Zynismus und Distanz. In der Gemeinde habe ich das Gefühl, gesehen zu werden.“

Man spürt, dass diese Kirchen etwas anbieten, was der säkulare Alltag selten hergibt: Gemeinschaft, Wärme, einen Ort, an dem man dazugehört.

Wer einen evangelikalen Gottesdienst besucht, versteht schnell, worin der Unterschied liegt. Kein Weihrauch, keine Orgel – stattdessen Gitarren, rhythmische Gesänge, Hände in der Luft. Eine Atmosphäre, die weniger an Liturgie erinnert als an ein Konzert oder ein kollektives Aufatmen. Hier ist Religion kein Ritual, sondern Erlebnis. „Man spürt die Freude – das ist ansteckend“, sagt eine junge Frau, die vor zwei Jahren aus der katholischen Kirche wechselte. Die Musik spielt eine zentrale Rolle, ebenso das persönliche Zeugnis. Jeder darf erzählen, wie der Glaube sein Leben verändert hat. Das schafft Nähe, Emotion, Authentizität. Kein Wunder, dass sich diese Form von Spiritualität auch unter Menschen verbreitet, die mit Religion bislang wenig anfangen konnten.

Aber ist das wirklich nur Begeisterung – oder steckt dahinter eine neue Form gesellschaftlicher Suche? Frankreichs Gesellschaft kämpft mit Individualismus, sozialer Spaltung, Identitätsdebatten. Die evangelikalen Kirchen wirken wie Gegenentwürfe dazu. Hier umarmt man sich, hier betet man füreinander, hier entstehen Netzwerke, die soziale Isolation auffangen. In vielen Gemeinden engagieren sich Freiwillige in Nachbarschaftshilfen, Migrantenprojekten, Musikschulen. Besonders in den Banlieues, wo der Staat oft fehlt, ist das Engagement evangelikaler Gruppen sichtbar – und manchmal lebensverändernd.

Ein Pastor aus Lyon beschreibt es so: „Wir reden nicht über Integration – wir leben sie.“

Gleichzeitig ist der Erfolg dieser Gemeinden auch ein kulturelles Signal: Ein Teil der Bevölkerung sucht wieder nach einer Sprache für Spiritualität. Nicht als Rückschritt, sondern als Ergänzung zu einem Lebensstil, der sonst wenig Raum für Transzendenz lässt.

Mehr: nachrichten.fr.

Gegen die Logik der Effizienzgesellschaft

Hartmut Rosa wünscht sich seit vielen Jahren mehr Resonanz (vgl. Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung). Er versteht darunter eine gelingende, lebendige Beziehung zwischen Subjekt und Welt, die sich von bloßem Haben, Kontrollieren oder Konsumieren unterscheidet. In einem aktuellen FAZ-Interview erwähnt er, dass unsere Optimierung- und Kontrollsehnsucht der Rezonanz eher im Weg steht. Das klingt so: 

Wir suchen oft nicht mehr den direkten Kontakt zu Menschen, sondern über Apps. Um Freunde zu finden oder etwa Lebenspartner. Damit wollen wir Enttäuschung minimieren und den Erfolg maximieren. Gerade dieser Optimierungs- und Kontrollversuch verhindert aber oft Resonanz. Die Optimierungsgesellschaft zeigt sich auch im Verhältnis zu mir selbst – etwa wenn ich meine Schritte zähle und meine Ernährung anpasse, um bestimmten Idealen zu entsprechen. Nach der Logik der Effizienzgesellschaft ist es irrational, sich auf Resonanz einzulassen, weil es dann als unkontrollierbar und ineffizient gilt.

Und auf die Frage: „Stimmt das überhaupt? Wenn ich ein Produkt kaufe, geht es doch um ein Angebot, das individuell zu mir passt. Die Wirtschaft wirbt doch mit Resonanzerfahrungen“, antwortet Rosa:

Ja, aber das ist eine Täuschung. Uns wird vorgegaukelt, dass diese eine Creme, diese eine Kreuzfahrt, dieses eine T-Shirt genau zu mir passen und Ausdruck meiner Selbstverwirklichung sind. Unternehmen verkaufen aber keine Produkte und Dienstleistungen, um uns zufrieden zu machen, sondern in erster Linie, um Geld zu verdienen. Gerade, weil sich dabei Resonanz oft nicht einstellt und wir unzufrieden sind, kaufen wir das nächste Produkt, damit sich das hoffentlich bald ändert. Resonanz und ein gelingendes Leben lassen sich aber nicht kaufen.

Mehr: www.faz.net.

Deutschland verzeichnet am meisten Brandstiftungen an Kirchen

Experten einer österreichischen Nichtregierungsorganisation (NGO) warnen: Christen in Europa sind von einem Klima wachsender Intoleranz bedroht. Der neue Jahresbericht beschreibt das Ausmaß antichristlicher Straftaten. Die Lage in Deutschland wird als besorgniserregend eingestuft. DIE WELT berichtet:

Besonders viele antichristliche Delikte wurden 2024 in Frankreich (770) und Großbritannien (502) dokumentiert. An dritter Stelle rangiert Deutschland: Dort weist die Polizeistatistik für das vergangene Jahr 337 christenfeindliche Straftaten aus – rund 22 Prozent mehr als im Jahr zuvor. OIDAC Europe bemängelt in diesem Zusammenhang, dass nur Delikte mit politischem Hintergrund erfasst würden. Viele christenfeindliche Übergriffe aus anderen Motiven fielen so durchs Raster.

Als überaus besorgniserregend bezeichnet die Organisation, dass in der Bundesrepublik allein 33 Fälle von Brandstiftung an Kirchen registriert worden seien – mehr als in jedem anderen europäischen Land. Dieser Trend setze sich offenbar in diesem Jahr fort: So habe die katholische Deutsche Bischofskonferenz mit Blick auf Vandalismus gegen Kirchen erst vor einigen Monaten über „gefallene Tabus“ geklagt.

Mehr: www.welt.de.

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